Die Letzten, die Anderen
Klaus Esterluß
Immerhin haben sie noch ihre Zeitung, wo sie doch sonst kaum noch was haben in ihrem kleinen Ort, hier, an der Grenze zum Nichts. Es sind doch sowieso nur ein paar Häuser, in den meisten wohnt schon lange niemand mehr. Und die wenigen, die noch da sind? So leicht verpflanzt man alte Bäume nicht.
Die Zeitung haben sie auch aus Trotz behalten, damit man sie drüben, in der Kreisstadt, nicht vergisst. Von dort kommt jeden Tag der alte Schmidt. Früh, noch vorm Uffsteh’n, wie sie es sagen, legt er ihnen das Papier hin, immer auf die Schwellen der Häuser. Mit seinem kleinen, roten Citroën tuckert der Alte heran. Manchmal bellt der Hund noch zur Begrüßung, es ist der einzige.
Treffen sie den alten Schmidt doch einmal an, laufen sie ihm über den Weg, auf der Straße, der einen, der Hauptstraße, oder am Marktplatz, am Brunnen, wo das Wasser längst nicht mehr sprudelt, dann sagen sie zu ihm, dass die da sie doch schon wegsortiert haben, janz unten in so’ne Verwaltungsschublade. Lohnt sich ja nimmer. Und der Alte winkt dann ab, jedes Mal. Noch seiter ja do, sagt er dann. Und fährt wieder.
Doch sie wissen genau Bescheid über die Ungeheuer, die vom Süden über sie kommen werden. Sie wissen nur nicht, wann. Ein Tiefschlaf, vielleicht ein Winter noch, zwei, oder in einer Woche? Papier ist geduldig, die Zeitung, von ihrem Ende hat sie ihnen noch nichts erzählt.
Doch sie wissen, dass es kommt. Sie haben es vom Lukas. Als der, ein paar Wochen erst her, auf den Markt trat, hatte er die Ungeheuer noch vor Augen, berührt hat er sie, sagt er, hat ihnen Steine und Schilder in den Rachen geschmissen. Die ham allet wegjefressen, hat er gesagt, Dorf um Dorf, weg. Nur ihn haben sie nicht gekriegt. Den Kampf, hat er gesagt, den gibt er nicht auf. Bleiben will er, bei ihnen, hat er gesagt. Häuser habter doch mehr als jenuch.
*
So geht es alle Tage, sie leben. Und es wäre auch heute so, doch etwas fehlt. Der alte, der verlässliche Schmidt, ist er etwa nicht schon im Dunkeln auf den Marktplatz gerauscht? Und hat er nicht die Zeitung auf die Schwellen gelegt? Hat er sie vergessen? Oder ist ihm was?
Als sie in Hauslatschen in den Morgen treten und ins goldene Herbstlicht blinzeln, liegt da nichts. Passiert is ihm was, ob er tot ist? Und sie sehen mit Stirnfalten hinüber zum Wald, forschend auf die Felder, ob da vielleicht ein rotes Autoknäuel liegt. Da ist aber keins. Sie sehen die Weite, braun und gelb, trockene Erde, aus der ein paar Stoppeln ragen. Es dauert nicht lang, dann hat es sie wie einen Schwarm zusammengetrieben, an den Brunnen, noch immer nur Schlappen an den sockenlosen Füßen.
Zuerst ist die dicke Simon da. Sie hält, wie sie es immer tut, die Kaffeetasse, die ihr in Form und Farbe gleicht. Sie umschließt sie mit Daumen und Zeigefingern. Ihr folgt der Krüger, die blassblauen Tattoos am faltigen Arm und bis zum Hals hinauf, und ihm der Schulze mit dem Elbsegler auf den ackerfurchigen Kopf, diesen einen Dorfhund an der Leine, der sich als blockköpfiger Mischling herausstellt. Das Tier trottet nebenher, die Nase staubig von den Pflastersteinfurchen. Fehlt noch die Eimermacher, und da kommt sie schon, und hat den Lukas an der sandigen Seitenstraße aufgegabelt, wo es nicht mehr zum Teeren gereicht hat. Im Nebeldunst könnten sie die Ungeheuer lauern sehen, doch sie richten den Blick auf die Felder und den Wald.
Von dort, was will der denn noch, schreitet der Rohloff auf sie zu. Die dicke Simon verschränkt die Arme zwischen Bauch und Brust, um ein Haar entspringt ihr die Tasse. Vom Rohloff wollen sie so wenig sehen wie von den Ungeheuern, wo er doch der andere ist, der einen Draht zur Stadt hat. Was der noch hier will, dieser Möchtejernbürjermeister, sagen sie. Ein Verräter, wie er da in seinem Haus am Ortrand hockt. Sitzt sicher auf jepackten Koffern, sagen sie, wohnt doch dem Wald eh schon am nächsten.
Ausgerechnet dieser Rohloff trägt nun ein Fernglas in den Händen und sie entreißen es ihm, suchen noch einmal das Feld ab. Keine Spur vom Alten, immer noch nicht. Gerade stülpt die dicke Simon ihre Brauen über das Okular, da kriegt sie vom Krüger einen Stoß in die Seite, den hat der Schulze angetippt und den wiederum hat das Leinengezottel seines Hundes geweckt. Denn da trägt der Wind ein Surren zu ihnen, erst dürr und unwichtig, hebt es hinter dem Wald an, wirft sich in die Lüfte, und kommt schließlich als rhythmisch nagelnder Motor im eisblauen Vormittagshimmel an.
Kommt er also doch, raunt die Dicke und meint den alten Schmidt, dem sein Auto rattert doch immer so, ruft sie, und drückt dem Rohloff sein Fernglas in die Hand zurück.
Aber watt fährt’er so komisch?, fragt der Schulze. Eiert die Straße lang. Und tatsächlich macht der kleine rote Wagen eilige Schlenker durch die Kurven, die es nur gibt, damit in der Eintönigkeit der Felder niemand einschläft.
*
Schließlich taumelt das Autochen, so nennt es die dicke Simon und tätschelt dem Wagen das Dach, auf den Platz. Sie stellen sich im Halbkreis darum auf und als der alte Schmidt die Tür aufstoßen will, stößt er den Schulze an und dem rauscht fast der Elbsegler aus dem Gesicht und er kann ihn nur knapp am Mützenschirm halten und vor dem Absturz retten.
Nun lasst mir doch, ruft der Alte. Er drückt sich aus den Polstern, die Tür lässt er halboffen, greift die Zeitungen, die ersehnten, und bahnt sich den Weg zwischen dem Lukas, der Eimermacher und dem Krüger hindurch zum Brunnen. Für jeden eine, kräht er, klatscht die Hand auf die oberste, weil, aber, japst er, nein, dit muss jeder selbst, er macht eine Pause, legt die Linke auf die Brust, atmet schwer.
Mit der Rechten tippt er energisch auf einen kleinen Text, nicht mehr als ein Zehnzeiler am unteren rechten Rand, wo doch üblicherweise nie etwas Wichtiges steht und die Spitze seines Zeigefingers färbt sich weiß vom Druck.
Als der Rohloff sich endlich aufrichtet, begleitet ihn ein Rascheln. Er dehnt den Rücken und spricht mit kehliger Stimme aus, was alle denken und sie stimmen ihm energisch zu, vielleicht das erste Mal. Nu gehts los, sagt er. Sicher kein Vierteljahr mehr, und der Lukas kratzt sein Kinn, weil er kennt, was kommt. Aber so schnell, denkt er. Denn ist dis hier och’n Loch und sonst nichts mehr.
Sie stehen noch immer über das Blatt gebeugt, als das Motornageln, das wie ein Katzenschwanz wieder am roten Citroën klebt, schon hinter den Bäumen verschwunden ist. Die Sonne im Zenit blendet grellgelb, fast weiß.
Zum Verdauen, hebt die dicke Simon die Stimme, heut Abend trinken wa, bei mir, ihr schwerer Kopf wippt. Dass sie noch von dem Klar’n hat, sagt sie, der brennt den Schmerz wech und wenn’s sein muss, och die Angst.
Die Nacht findet heute erst spät ihre Schläfer und die, die schlafen, können nicht mehr träumen.
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