Zerschlagen, Anthologie – Kurzprosa

NICHT MEHR LIEFERBAR! Peter Barden, Hanna Bertini, Anne Büttner, Jonas-Philipp Dallmann, Jan Fischer, Maik Gerecke, Holger Heiland, Julia Hoch, Kerstin Meixner, Frank Neye, Ekaterina Vassileva, Stephan Weiner Hrsg. Victoria Hohmann-Vierheller Kurzprosa

Info

Pläne zerschlagen sich, werden durchkreuzt, vereitelt, im Großen wie im Kleingarten. Dinge gehen kaputt wie Herzen und Körper. Nebenbei zerfällt die Welt, klatsch, Matsch, was eben noch beflügelte. Erinnerungsnarben fahren wie Schienen über die Haut, stehende Gewässer dringen auf Spaltendes, Wellengang erlöst nicht vom nächsten Schritt.

Das Zerschlagen spannt sich vom Vermasseln bis zur Vernichtung. Zwölf Autor*innen betrachten das Phänomen und führen Scherben vor Augen, in denen sich Welt auf hintergründige, einfallsreiche, poetische und immer auch unterhaltsame Weise spiegelt.

 

Hardcover, 140 Seiten, limitierte und von Hand gestempelte (nummerierte) 1. Auflage. Der Druck wurde per Crowdfundig-Kampagne auf Startnext finanziert. Hier die Kampagne ansehen.

Interviews mit den Autor*innen zu den Fragen, was sie an der Ausschreibung gereizt hat, wie sie das Thema für sich definieren und was sie zu ihrem Text inspiriert hat – hier als PDF zum Download: AutorInneninterviews PDF

 

HÖRPROBEN auf dem Verlagskanal:

 

LESEPROBEN:

 

Peter Barden, Losigkeit

Sie hatten keine Ziele, keine Anfänge, keine Wege. Kein Leben. Nur einen mumifizierten Rest von Existenz. Darin verflüchtigte sich selbst die Erinnerung an die eigene Geschichte.

 

Hanna Bertini, Fluchten

„Mutter, wir wollen nur das Beste für dich.“ Die Entscheidung der anderen. Sie selbst allein unter alten Leuten. Sie führt den Hund aus, sie kauft ein, sie macht die Steuererklärung. Andere brauchen Hilfe. Sie nicht. Sie sieht nur die Mitbewohner kommen und gehen. Manche sind schon bei ihrer Ankunft nicht bei sich. Andere gehen viel zu schnell. Manche trifft sie jeden Tag zum ersten Mal.

 

Anne Buettner, Ein anderes Wort für komisch

Alles wieder wie immer. Und trotzdem: Trotzdem das zwischen Marie und mir − Deiner, meiner und Maries Freundschaft wegen − geklärt war, siehst Du angestrengt aus. Konzentriert. So, als strengtest Du Dich an, konzentriert auszusehen. Ich hingegen sehe gar nicht aus; nur aus dem Fenster. Trinke ein Bier Richtung Pfand. Schnipse ein zigarettenes Glühwürmchen in die Nachtluft.

 

Jonas-Philipp Dallmann, Die Reise

Eigentlich wohnst du ja schon bei uns, Ben, sagte Sophia einmal scherzhaft, als wir miteinander am Abendbrottisch saßen, und obwohl ich, um kein Spielverderber zu sein, in das Lachen der beiden mit einfiel, spürte ich doch einen Stich, als Sophia aussprach, was unter der Hand zur ungeliebten Gewohnheit geworden war. An diesem Abend nahm ich mir vor, mich mit Wiesengrün auszusprechen, ihm unter vier Augen auseinanderzusetzen, dass die Zuflucht, die er bei uns gefunden hatte, nur eine vorübergehende sein konnte, dass er wieder fort müsse und dass Sophia und ich ein Recht hätten auf unser eigenes Leben.

 

Jan Fischer, Bluter

Ariane nimmt ihre Lippen von meinen und ich huste Blut an die Wellblechwand.
Ich hatte schon immer diese offene Wunde auf der Zunge, die nie lange genug still hielt, als dass man sie hätte nähen können.
Ich habe dich getragen, sagt Ariane, da waren ein Wald und ein Feld.
Wo sind die Verfolger?, frage ich.
Draußen, sagt Ariane.
Ich kann sie hören, wenn ich mich konzentriere: Die Stimmen der Verfolger klingen ranzig aus ihren Megaphonen, durch die Wellblechwände vibrieren sie in mein Hirn.

 

Maik Gerecke, Geschichte von der Stange

Eigentlich müsste man. Ja, man müsste. Zumindest etwas sagen müsste man. Das wissen wahrscheinlich alle hier, aber trauen sich nicht. Sie sind nicht in der Verfassung, mir geht es ja nicht anders. Was ich tun werde, ist an der nächsten Station aussteigen, weil ich dort eh raus muss, und die Sache vergessen. Was bringt die Samariternummer, drauf geschissen, ich kann mich nicht um alles kümmern.

 

Holger Heiland, Mare Nostrum

Alles sah aus, wie ich es mir vorgestellt hatte, als ich mich auf den Weg machte (aber dass ich mich irrte, war sowieso nur in den selteneren Fällen das Problem – viel schlimmer war meist, Recht zu haben), und sofort überkam mich wieder das Gefühl der Beklemmung, das mich seit gut vier Wochen verfolgt und schließlich ganz unterworfen hatte.

 

Julia Hoch, Fliegen fallen

Sie: Ach, wie es mal war.

Er: Nie gewesen ist.

Sie: Wohin ist es gegangen?

Er: Meine Richtung is right.

Sie: Soso.

 

Kerstin Meixner, Vier Zerschlagungen auf einem Grund

Es war ein perfider Plan, aber er konnte funktionieren, wie feine Risse überhaupt die gefährlichsten sein konnten.

 

Frank Neye, Die Mathematik verzeiht nichts

Angelockt durch die ungewöhnliche Wortschöpfung der „Kurvendiskussionen“, vermengt mit den in mir aufziehenden hormonellen Wallungen eines Zehntklässlers, verstieg sich meine Phantasie in sinnlich-erotische Wunschvorstellungen, denen die folgenden mathematischen Übungen nicht ansatzweise genügen konnten.

 

Ekaterina Vassileva, Der Schlaf des Hermaphroditos

(Übersetzung Maria Rajer)

Wien blieb mir aus dem Fenster der Straßenbahn in Erinnerung, mit der man fast überall hingelangen konnte. Manchmal bremste sie jedoch an irgendeinem Platz, wo die Gleise plötzlich kreuz und quer liefen, gleichsam in Nachdenken versunken, welchen Weg sie einschlagen sollte, um nach einer Weile dann eine Abbiegung zu nehmen, die alle deine Pläne über den Haufen wirft.

 

Stephan Weiner, Die Welt zerfällt in Tatsachen

Schritte. Schatten. Der Schnee knirscht. W. hält inne. Lauscht nach einem Echo. Er sieht sich um. Vorsichtshalber. – Doch: Nein. Nichts. Der Schatten ist sein eigener. Die Laternen treiben ihn stückweise voran.

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