Der Frau – Texte
Texte (Edition v)Info
Der Frau ist eine dreistimmige lyrische Textcollage zum Thema Frausein. Es sprechen: Mutter, Frau, Eine. Es geht um Mutterschaft und Geburt, um Menstruation und das erste Mal, um das Frauwerden und Tochtersein, um Feminismus, Sexismus und Geschlechter-Narrative, um Gewalt gegen Frauen, um Schwangerschaftsabbruch, und um Selbstbestimmung. Vor allem geht es darum, Dinge auszusprechen, um das Frausein neu zu denken und vermeintliche Tabus zu verändern.
Drei Begleitexte erweitern das thematische Spektrum, persiflieren toxische Männlichkeit, reflektieren Identität und Vergänglichkeit.
Textanfang “Der Frau”:
Mutter
Gebären
geboren werden sich gebären lassen gebärden
der Geburtskanal die Fruchtblase die Fruchtvase das Gefäß die Eröffnung
zuvor / dann
ein Danach Immer Weiter und weiter und mehr und darüber hinaus und und bis zum letzten Atemzug bis zum Letzten aber jetzt der erste JETZT der Beginn mit einem Schrei mit einem sanften Klapps einem Tönen ein erstes Luftholen ein Erstes, Anfang alles auf
Becken Vibrieren Entschlüpftes Entbindung Nähen und Entfernung HIER Herausgepresst-geschnittenes GEWALTIG Kräfte walten wirken wogen wagen Natur_macht macht (moves)
EINE neue Zeit tritt in Erscheinung EINE neue Erscheinung tritt ein auf an EINE neue Zeitrechnung Zeitaufzeichnung Zeitzählendezahlende noch Unbeschriebene gesichtert plötzLICHT das Köpfchen ein Fensterladen im Wind ein GeRAUSCHEN Zeitbewusstsein Selbst einpendelnd EIN
WAS
ist der Mensch
WAS
der Mensch die das Menschlein
Fleisch und Blut und Urin und Fäkalien
(...)
Angesicht angemischt schminkpuppenfarbener Rohleinenleib, der
für
hingegeben an den Augenblick Ausblick die Aussicht das
Drama auf dem Ascheplatz tänzelnd noch
vor den Schüssen
Textauszug "Edelweißmän":
Einsam Zwietracht säend in der Höhe, die Hügelärsche besamend, die Schlitze, die bittenden, bettelnden Betthänge der Ost-, der Südwest-, der wetterfesten Nordwand – so zeigt sich das Männchen von seiner besten Seite. Die Frisur sitzt locker. Der transplantierte Pony weht. Unter dem Filz der Hutkrempe, unter dem Wutkrempel der kaltweißen Hirnüberwindungen. Unter dem Kniff, unter dem Futterdach blitzt der verborgene Heiligenschein; fettig glänzende Abwesenheit stoffwechselnder Haarfollikel des Häuptlings, des Halbgotts mit Halbglatze. Je radiuswilliger die Kopfhaut, desto buschiger der Gamswedel. Schenkelbreiter Prachtstrauß, in die Weiten der allumgebenden Selbstermächtigung blühend.
Textauszug "Wega":
Menschliche Würde abwürgend mehr als ein Mal mehr als als
mein Hals kraus mit grammelnden Konsonanten stahlblauäugigen
Stieftanten Deutungshoheit einprügelnd auf auf mein Nacktes mein
Nacken ausgeleiert Sprache in Rachen in rage in welch age welch welkt hier
und die Sprache wird mir zu Tränen zu Grund und bodenloser und loser und looser und ground without grounding und ich spähe durch Worte gespreizte Finger
zeige in Wasserlandschaft ohne Nahme ohne Namen #Festlandlandschreibungenroutentourguidesternchenenttäuschungen
und das Wasser und die Schreie und kein Schreiten und kein Schreiben um zu bleiben zu rasten (bitte!) zu können für Momente allein und allem ansichtig angesichtig inmitten dieser himmlisch porösen Unbedeutung
keine Ahnung wie wir das aushalten aushalten halt halten an sich
uns wen sonst noch auch das och auch derdie und so was und seitwärts gesunkenes ausbetrunkenes der Schultergürtel die Flügel Extremitäter am Lebenswerk Werk auch das noch
wund wunder
es blutet uns zu, das Leben
Textauszug "Elektrische Impulse":
Stadt, sich in den Himmel türmend, Glas, Stahl, Beton. Seltsam weitab. Blinken der Ungetürme in der Bühnenflucht. Sonne übersteuert. Zeichnet sie fahl, wirft die Skyline als kurzen Schatten an die Rückwand der Gegend. Unheimliche Papierwelt. Origamifantome. Jedes Haus, hoch und klein, prahlerisch und gebeugt, dahingefaltet und lebenslang. Die Glasfronten der Wolkenkratzer: feines Butterbrotpapier, aufwendiges Geschenkpapier, bedruckt bedrückt Hochglanz Dreck. Nebendran bis an die Ausläufer des Gebirges: Besiedlung, bepisst besudelt, Häuschen aus Karton, aus zähem Backpapier, Packpapier, günstigem Kopierpapier, Klopapier, Zellulose, beige, matt, recycled, alltagstauglich, Druckern dienlich Drückern Müllabfuhr Abfuhr. Auf den Dächern: Papiertauben, belagern Papiergauben, Papierschrauben, Raubbau, darüber Papierflieger Pflüger zwischen zinkweißen Wölkchen zischen, aufgeheizte Atomsphäre, fieberflimmrige Air.
Darin schwimm
verschwommene Papiersegler schrillende Raubvögel Raubvögeln Nesträuber Nestbauer Schmutz Gestutzte in Vogelbauern Penthousezwingern. Mauern aus Backsteinpaperbag, holzig, faserig, handerschöpfte Fassaden Geschöpfe aus Kragen ragend mit unzähligen Köpfen Faces aus Fensterbildern starrend aus Windows Papierkügelchenaugen auf Passanten richtend auf Displaywisher im Stehcafé verwesende User Inter-Facegeliftete strichmännliche Notizblöcke Notizböcke vorbeisausausende Mobilgevatter Mobilfalter Gezeichnete Glattgestrichene Umgeknickte Abgefickte Eingebrochene entlang des Bürgersteigstiegs.
Rezensionen
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Jedesmal, wenn Victoria Hohmann eigene neue Texte herausgibt, freue ich mich sehr, da sie erfahrungsgemäß nur so vor Sprach-Kreativität strotzen. Genauso hier in "Der Frau". (...)
Spannend ist, dass dies aus drei unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird: Mutter, Frau, Eine. So ergibt sich aus den drei Stimmen ein großes Gesamtbild davon, was es in der Regel bedeutet Frau zu sein. (...)
An manchen Stellen findet man sich wieder, kann in die drei Stimmen mit einstimmen, so wie sicherlich viele Frauen, auf dass sozusagen ein Chor entsteht.