Von Verwandlungen – Erzählungen
Erzählungen (Edition v)Info
Das nennt man also Portal, dachte die Frau. Einen Ort im Raum, an dem sich die Zeiten treffen, eine Schwelle im Raum, die Gewesenes und Wesen umschreibt. Entschlafen Geglaubtes erstand. Schlafwandlerisch streckte Vergangenheit die Hände nach der Frau aus. Die wich zurück und konnte doch der Versuchung nicht widerstehen.
(aus: Undine, in: Von Verwandlungen)
KLAPPENTEXT:
Ein Mann löst sich in den Überbleibseln seiner verronnenen Liebe auf, eine Frau schlafwandelt durch ihre Vergangenheit, um sich neu zu erfinden, Kinderaugen verändern politische Sichtweisen, Bildschirme befeuern überraschende Transformationen, Gleichschaltung zersetzt Leben – und mündet unverhofft in magischer Metamorphose.
Sieben Erzählungen über vielgestaltige Verwandlungen inmitten absurder Alltäglichkeit (Im Café, Undine, Brücken, Hater, Sprengkörper, Von Bäumen, Avatare).
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WEITERE TEXTAUSZÜGE:
Ein großer Vogel stieg über dem Watt auf, hatte dort gebrütet, in den Schilfgründen, einen Traum lang. Seine Flügel umspannten die Eingeweide des Meeres. Federn zerschnitten die Nacht, rissen Sterne vom Himmel. Gestalten wimmelten in der Untiefe darunter, füllten die Sphären mit aufgeblasenen, schlüpfrigen Leibern. (…) Dornen durchstoßen Haut. Sprossen ins Himmelhoch. Flaum auf blutigen Spitzen. Pfeilenden, von Federn gespickt, von Schuppen. Halb Fisch, halb Vogel. Halb Mensch, halb Mond. Gesänge dampfen aus frischen Spuren. Abdrücke. Spritzen in die Stille. Donner rollt heran. Wie alles rollt. In Bewegung geraten ist, jenseits der Mitte. Bebend schiebt etwas den Horizont vor sich her.
(aus: Undine, in: Von Verwandlungen)
Auf der Schwelle des Caféhauses entglitt Herrn W. die Zeit jedes Mal. Das dunkle Holz des Raums raunte von fernen Jahrzehnten. Welt entrollte sich beim Betreten des roten Läufers im Eingang. Das Draußen blieb vor der Glastür angeleint, vergeblich nach dem Herrchen kläffend.
(aus: Im Café, in: Von Verwandlungen)
Er lacht über das Missverständnis Netz, wo jeder herausliest, ausliest, was bei ihm hängenbleibt. Einander verstehen, über Pixelflure kommunizieren, wie soll das funktionieren, solch große, stille Post.
(aus: Hater, in: Von Verwandlungen)
Katinka war ausgegangen, Ladies Night, im Cinestar-Komplex. Richy und er genossen das Allein-zu-Haus zwischen lackierten Pressholz-Quadern, rostfreiem Stahl und Blumendrucken auf Leinwand, mit Bier. Untersetzer hatten sie nehmen müssen, wegen des Glastisches im Wohnzimmer. Hier, hatte Richy gesagt und aus einer Schublade der jungfräulich wirkenden Küche zwei Bierdeckel seiner Stammkneipe hervorgezaubert. Heute ein König, hatte darauf gestanden. Sie hatten sich an den Glastisch gesetzt und ein Gespräch probiert. Beim dritten Bier war es schließlich soweit gewesen. Weißt du noch – fast jeder Satz hatte ab da so begonnen.
Christoph und Richy:
Weißt du noch: Das Baumhaus bei euch im Garten, Hammer, die Strickleiter, Dosenpost, ey, Christoph, ey Richy, ohne Handy, glaubste ja nich mehr heute, die Heftchen mit den, oh Mann, bis der Schneider petzte, wegen der haha organisierten Zigaretten von Tante Inge. Weißt du noch: Das Fußballspiel gegen die Parallelklasse, sowas von haushoch, Alter, Wahnsinn, Stielauge Scheffler, der Penner, Richy, du, Christoph, ich, das war einfach so ein Tag, der Ball lag mir einfach auf dem Fuß, ich seh`s noch genau vor mir, der Pass von Tim, weiß auch nich, zack, unhaltbar, auf jeden, eben ein Rummenigge Zwei. Weißt du noch: Ja, Christoph, voll, Richy, das Rösschen, geiles Ding, damit vor der Schule parken, ein Traum, dieses Blaumetallic, dein Golf, echt ey, was eine Rostlaube, aber immerhin funktionstüchtige Rückbank, Rückbang, Mensch, die Eva ist auch längst verheiratet und hat zwei Kinder, aber nicht von mir haha, aber was nicht ist, Spaß, Prost.
(aus: Brücken, in: Von Verwandlungen)
Die Stadt vermisste Land. Je größer sie war, desto inniger. Das hatte Dina erfahren. Unverhofft keimte in Spalten zwischen Pflastersteinen und Asphaltritzen Sehnsucht nach Ursprünglichkeit. Das Verlangen nach Verwurzelung wurde sich seiner erst in Unwirtlichkeit bewusst. (…) Immer um Mitternacht geschah es seitdem. Dina lag meist schon im Bett. Schlag zwölf Uhr schossen Wurzeln aus ihrem Unterleib, den Kniegelenken, den Füßen, gruben sich durch den Holzboden der Hochparterrewohnung, durch den Beton des Kellers, des Fundaments, hinein, in das feuchte Erdreich. Gleichzeitig sprossen Leuchtfäden auf ihrer Kopfhaut, schälten sich aus den silbrigen Haarsträhnen, zertrümmerten die Wände, rasten in die Nacht hinaus, durchbrachen die Atmosphäre, verankerten sich in Spiralnebeln fernster Galaxien. (…)
Sie träumte unruhig. Hinter ihren Lidern krochen Kriegskrüppel. Die wühlten im Abfall nach Marmeladengläsern, trugen sie unter Platanenkronen davon. Die hingen sich kopfüber in Altkleidercontainer, zogen halb erstickt alte Hüte hervor. Die tanzten auf Prothesen von Plastkgeschirr, das klapperte wie ausgegrabene Gebisse. Mein Kind, hörte Dina die Großmutter hauchen, sie lag auf dem Totenbett und sah an die Decke. Mein Kind, sprach die Mutter und strich dem Tollwütigen über die Schläfen. Mein Kind, sprach der Wald und Dina erwachte.
(aus: Von Bäumen)
Rezensionen
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Zunächst überrascht die bilderreiche Sprache in »Von Verwandlungen«, denn die hat sich weit von ausgetretenen Pfaden entfernt! (...) Lesegewohnheiten werden durchbrochen, beispielsweise durch Dialoge mit Regie-Anweisungen (...) Victoria Hohmann experimentiert mit Sprache, Aufbau und Leser-Erwartungen. Das tut vor allem den Erzählungen gut. Und den Leserinnen und Lesern, wenn sie der Autorin folgen wollen.
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Hohmann schafft hier mit ihrer bildgewaltigen Sprache, was andere von mir gelesene Erzählungen nicht konnten: überzeugen! (...) Poetisch, wortgewandt und teilweise auch sehr herzzerreißend (Beispiel: „Sprengkörper“ und „Von Bäumen“) verwandelt die Autorin schöne Ideen in denkwürdige Kleinode.
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Tiefgehend, berührend, zum Nachdenken anregend und gleichzeitig unterhaltsam - Hohmanns Geschichten sind echte kleine Kunstwerke!
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Ich habe mich schwergetan mit diesem Buch, aber nicht, weil es schlecht war, sondern weil es so schwer und ich möchte fast sagen anspruchsvoll war. Es ist keine Unterhaltungslektüre, um das mal vorweg zu nehmen. (...)
Manchmal hat man das Gefühl vom Gedicht in Prosaform, an anderen Stellen muss man mehrmals lesen, teilweise werden Worte einfach weggelassen, aber alles funktioniert irgendwie. Der Schreibstil selbst wird zu einem Ausdruck der Protagonisten, der einen eigenen Rhythmus vorgibt. -
"Wenn diese Geschichten, in denen es um die verschiedensten Arten von Verwandlungen (...) geht, mit solch einer sprachlichen Eleganz geschrieben sind, dass der unbedarfte Leser vielleicht erst einmal im wahrsten Sinne des Wortes vor eine „Wall of words“ gestoßen wird und dann beim unweigerlich notwendigen (im Sinne von „Was ist hier gerade mit Worten und Sprache passiert?“) Reread einer oder mehreren Geschichten anfängt, Feinheiten zu finden, die einem beim ersten Lesen nicht aufgefallen sind und man dann gar nicht mehr genug bekommen kann, dann weiß man, dass hier etwas ganz Großes entstanden ist."
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Die Figuren in diesem Buch haben mich alle auf ihre bestimmte Art fasziniert und überrascht. Jede Einzelne hat eine wundervolle Geschichte erzählt und mich mitgerissen in ihre Welt.