Interview mit Autor Jonas-Philipp Dallmann

Wie kamst Du zum Schreiben bzw. wie kam das Schreiben zu Dir?

Vor dem Schreiben kommt ja das Erzählen bzw. die Phantasie, und die war wohl immer ein Teil von mir. Allerdings wird das dann durch das Aufschreiben doch zu etwas anderem, denn Schreiben als Produzieren misst sich ja auch immer am Ergebnis, zum Beispiel an der Anzahl der Seiten. Da hatte ich sehr früh den Ehrgeiz, viel zu schreiben, schon als Kind.

Was war Deine erste Veröffentlichung?

Abgesehen von Schülerzeitschriften und dergleichen war meine erste Veröffentlichung die Erzählung „Der Freund. Eine Beherbergung“, erschienen 2003 in den „Konzepten“. Also ein relativ spätes Debut mit vierunddreißig.

Aus welchem Zeitraum stammen die Erzählungen in „Die milchfarbene Haut der Türen“?

Der Zeitraum umfasst 2003 bis 2018, also eine relativ breite Spanne. Die älteren Erzählungen wurden aber alle nochmal überarbeitet.

Gibt es Themen, die Dich stetig begleiten oder wandelt sich das über die Jahre?

Ich glaube, diese Themen gibt es. Ich kann sie aber selbst nicht benennen, sondern andere lesen sie aus meinen Geschichten heraus. Natürlich spielen Architektur und Räume eine wichtige Rolle, aber im Grunde geht es mir um das Einfangen subtiler Atmosphären und Anmutungen – Dinge, die so fein sind, dass sie sich der Sprache fast entziehen.

Hast Du den Eindruck, dass Dein Architekturstudium Einfluss auf Deine Art zu Schreiben genommen hat?

Dieser Einfluss wird immer wieder vermutet, aber es ist nicht so, dass ich Geschichten konstruiere. Ich schreibe sehr intuitiv und weiß in der Regel weder, wie eine Geschichte endet noch lege ich Figuren am Reißbrett fest. So habe ich aber auch Häuser entworfen, und ich denke, die Methode ist sogar weitverbreitet, obwohl die Architekten darin geschult werden, ihre Intuition als das Ergebnis rationalen Kalküls zu verkaufen. Macht ja schon Palladio: Im Grunde will er Säulen bauen, aber er argumentiert mit Baugrund, Belüftung und Hygiene. Er hat immer gute Gründe für seine Säulen, und sie sind ja auch wunderschön.

Dein Debütroman „Notschek“ erschien 2011 im Wiener Verlag Luftschacht. Was hat sich dadurch für Dich verändert?

Natürlich war dieses erste richtige Buch eine wichtige Bestätigung, tatsächlich Autor zu sein. Bevor man ein Buch hat, bleibt man immer jemand, der das nur behauptet – ein gelegentlich quälender Zustand, denn im Grunde weiß man ja, dass das, was man geschrieben hat, ganz gut ist, kann es aber nicht beweisen.

Kurzprosa oder Roman? Hast Du da eine Vorliebe als Schreibender? Als Lesender?

Die Kurzprosa ist eine sehr verführerische Form, weil man da schnell zu Ergebnissen kommt und Misslingen kein großes Risiko darstellt. Andererseits will kein Komponist immer nur Kammermusik schreiben – im Grunde schielt man, glaube ich, immer nach dem großen Roman. Außer, man ist Lyriker.

Tag- oder Nachtschreiber?

Früher habe ich immer sehr viel nachts geschrieben, heute praktisch kaum noch. Es ist ein bisschen eine Illusion, dass man nachts einen besseren oder tieferen Zugang zur Sprache hat. Allerdings habe ich vor kurzem mit dem Nachtschreiben wieder angefangen, mit grüner Tinte auf Papier, ein sprachphilosophischer Traktat mit dem Arbeitstitel „Der Hufschlag der Worte.“

Vorbilder?

Die ganz großen Götter nenne ich lieber nicht, denn der Vergleich wäre vermessen … Sehr gefallen hat mir immer Wolfgang Hildesheimer („Tynset“, „Paradies der falschen Vögel“), der heute fast schon vergessene Kurt Kusenberg („Der blaue Traum“) oder Exoten wie Joris-Karl Huysmans („Gegen den Strich“); aus neuerer Zeit natürlich W. G. Sebald („Austerlitz“, „Die Ausgewanderten“). Ein Geheimtipp ist Emil Tode („Im Grenzland“), hinter dem sich der Este Tõnu Õnnepalu verbirgt. Mit Walter Benjamin („Kindheit um 1900“) oder gar Rilke („Malte Laurids Brigge“) fangen dann allerdings schon die Götter an.

Dein Anliegen beim Schreiben?

Das Anliegen ist etwas paradox: Das zur Sprache bringen, was nicht gesagt oder geschrieben werden kann. Meiner Theorie nach hat die Literatur wie ein Eisberg bislang nur etwa zehn Prozent dessen beschrieben, was wir tatsächlich erleben.

Was ich meinen Leser*innen schon immer sagen wollte:

Literatur ist weder etwas, was sich auf Autoren beschränkt noch auf das Lesen. Geschichten passieren uns allen täglich. Mein bester Freund hat neulich im Garten gesagt, ich erzähle immer so plastisch von fremden Menschen. Das war auch ein Talent meiner Mutter, obwohl sie Bildende Künstlerin war. Aber was ist dieses Erzählen eigentlich? Es ist dann gut, wenn es das Wesentliche einfängt – und dabei vielleicht nicht ganz bei der Wahrheit bleibt. Das habe ich schon als Kind empfunden, dieses Recht auf konsequente Übertreibung und Ausschmückung, das immer auch mit sehr viel Lust verbunden ist. Gut ist, wenn man dann Zuhörer hat. Leser sind idealerweise solche Zuhörer.

11 Fragen an Autor Stephan Weiner

1. Was hat Dich zu Deinem Text inspiriert?

Die erste Version des Textes schrieb ich während meines Studiums, als ich diesen einen Weg fast vier Jahre lang, praktisch jeden Abend nach Hause gegangen bin. Deswegen lautete der erste Titel des Textes auch „B.straße-M.weg“. Eine Wegbeschreibung. Und ja: langweilig. Ich behauptete also, da fehle etwas und so wurde es weniger banal. Um es aber konkret zu machen, mussten Tatsachen geschaffen werden. Wahrheiten. Und wer, wenn nicht Wittgenstein, der behauptete mit seiner Abhandlung „die Probleme im Wesentlichen gelöst zu haben“, sollte mir helfen, diese Wahrheiten herzustellen.

 

2. Sind philosophische Abhandlungen oft Anregung für Deine Texte?

Nein. Also fast nie. Auch dieser Text beruft sich eigentlich nur am Rande auf Wittgensteins Abhandlung. Es geht aber immer um Sprache. Also darum, wie sich Dinge sagen lassen. Und da ist die Grenze zu philosophischen Fragen eigentlich schon überschritten. Allerdings bin ich auch fachgeschädigt, weil ich meinen Abschluss über die Bedeutungstheorie von Donald Davidson gemacht habe. Eine erlernbare Sprache lässt sich in endlicher Form darstellen (sonst könnten wir sie ja gar nicht lernen), ist aber theoretisch in der Lage eine unbegrenzte Anzahl von Ausdrücken zu kreieren. Irgendwie krass. Und ja: schon auch eine Inspirationsquelle.

 

3. Was fasziniert Dich an Wittgenstein?

Immer wenn ich denke, ich habe verstanden, merke ich, dass ich weit davon entfernt bin, überhaupt eine Ahnung zu haben. Das fühlt sich großartig an und so geht es mir besonders bei Wittgenstein. Außerdem ist keiner seiner Texte emotional aufgeladen. Wenn ich die Abhandlung lese, fühle ich nichts außer einer nüchternen Wahrheit. Während ich gleichzeitig keine Ahnung habe, was „wahr“ eigentlich bedeutet. Hier geht es nur um das reine, das pure Verstehen – und ob ich mich darüber freue, eben einfach nicht zu verstehen. Und darüber kann ich mich außerordentlich gut freuen.

 

4. Lieblingsphilosoph?

Viele. Aber bevor es überhaupt so richtig losging, damals, als ich zu lesen begann, Anfang der 90er, begegnete mir ein Protagonist, der mich nicht nur viele Jahre begleiten sollte, sondern mir auch zeigte, wie ich künftig zu lesen hatte: Bert Ljung.

 

5. Wer ist Bert Ljung?

Hauptfigur und Autobiograph seiner eigenen Katastrophen. Er ist ein kritischer Beobachter seiner selbst, seiner näheren Umgebung sowie der allgemeinen Adoleszenz. Alles in allem also unbedingt eine identitätsstiftende Figur für zehnjährige Jungs.

 

6. Wie viel % Herr W. steckt in Stephan Weiner, wie viel in Wittgenstein?

Weder noch.

 

7. Sollte man den „Tractatus“ lesen? Ja? Nein? Vielleicht?

Ich glaube nicht, dass irgendjemand irgendetwas überhaupt gelesen haben „muss“. Bücher kommen zu Dir, oder sie lassen’s.

 

8. „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ – eine zentrale Erkenntnis im Leben des Autors?

Das ist im Grunde die einzige Wahrheit, die es gibt. Allerdings auch gleichzeitig der Ursprung aller Probleme. Denn alles, was der Fall ist, ist die Gesamtheit der Tatsachen. Und die Tatsache ist das Bestehen von Sachverhalten. Und der Sachverhalt ist die Verbindung von Gegenständen. Und das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke. Und der Gedanke ist der sinnvolle Satz. Und der Satz ist die Beschreibung eines Sachverhaltes. Und ein Satz kann nur sagen, wie ein Ding ist, nicht, was es ist. Und einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist. Und die Wirklichkeit muss durch den Satz auf Ja oder Nein fixiert sein. Und wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. (Und das kann auch ergänzend zu den Antworten auf Frage 3 und Frage 6 gelesen werden)

 

9. Würdest Du „Die Welt zerfällt in Tatsachen“ als „Krimi“ bezeichnen?

Wikipedia sagt:

„Bei einem Krimi geht es in der Regel um die Verübung und Aufklärung einer oder mehrerer schwerer Straftaten, d. h. Verbrechen wie Raub, Erpressung, Entführung oder Mord, die den Leser, Hörer oder Zuschauer in Spannung versetzen sollen. Mehrheitlich spielt ein Kommissar, ein Detektiv oder eine andere Hauptperson die Rolle des Ermittlers. In dieser Rolle findet er den eigentlichen Grund des Geschehens – häufig mit Zwischenfällen – heraus und entdeckt den Täter. Realistische Handlungsorte und gesellschaftliche Situationen, das heißt, die Anpassung an die jeweiligen ‚historisch-gesellschaftlichen Bedingungen seiner Entstehungszeit’, sind weitere Punkte, die Krimis gemeinsam haben. Auch die Verwendung von Waffen unterschiedlichsten Typs ist häufig integraler Bestandteil der Handlung.“

 

In dem Text gibt es keine Waffe, keinen Täter, keinen Ermittler, keine Straftat, keine Zwischenfälle. Es gibt aber realistische Handlungsorte, gesellschaftliche Situationen sowie durch das konsequente Vermeiden erklärender Details eine gewisse Spannung. Allerdings beginnt und endet alles bei der Frage: „Was passiert hier eigentlich?“ Und soweit ich weiß, passiert in einem handelsüblichen Krimi recht viel. Alles in allem würde ich daher ganz klar sagen: Jein (?)

 

10. Ist das „literarische Essay“ Dein Genre?

Die meisten meiner veröffentlichten Texte gehören wohl dazu. Aber ich tue mir schwer mit Genres (siehe Antwort auf Frage 8).

 

11. Was ich meinen Leser*innen schon immer sagen wollte:

 

Eine Botschaft habe ich nicht. Außer vielleicht: