11 Fragen an Autor Stephan Weiner

1. Was hat Dich zu Deinem Text inspiriert?

Die erste Version des Textes schrieb ich während meines Studiums, als ich diesen einen Weg fast vier Jahre lang, praktisch jeden Abend nach Hause gegangen bin. Deswegen lautete der erste Titel des Textes auch „B.straße-M.weg“. Eine Wegbeschreibung. Und ja: langweilig. Ich behauptete also, da fehle etwas und so wurde es weniger banal. Um es aber konkret zu machen, mussten Tatsachen geschaffen werden. Wahrheiten. Und wer, wenn nicht Wittgenstein, der behauptete mit seiner Abhandlung „die Probleme im Wesentlichen gelöst zu haben“, sollte mir helfen, diese Wahrheiten herzustellen.

 

2. Sind philosophische Abhandlungen oft Anregung für Deine Texte?

Nein. Also fast nie. Auch dieser Text beruft sich eigentlich nur am Rande auf Wittgensteins Abhandlung. Es geht aber immer um Sprache. Also darum, wie sich Dinge sagen lassen. Und da ist die Grenze zu philosophischen Fragen eigentlich schon überschritten. Allerdings bin ich auch fachgeschädigt, weil ich meinen Abschluss über die Bedeutungstheorie von Donald Davidson gemacht habe. Eine erlernbare Sprache lässt sich in endlicher Form darstellen (sonst könnten wir sie ja gar nicht lernen), ist aber theoretisch in der Lage eine unbegrenzte Anzahl von Ausdrücken zu kreieren. Irgendwie krass. Und ja: schon auch eine Inspirationsquelle.

 

3. Was fasziniert Dich an Wittgenstein?

Immer wenn ich denke, ich habe verstanden, merke ich, dass ich weit davon entfernt bin, überhaupt eine Ahnung zu haben. Das fühlt sich großartig an und so geht es mir besonders bei Wittgenstein. Außerdem ist keiner seiner Texte emotional aufgeladen. Wenn ich die Abhandlung lese, fühle ich nichts außer einer nüchternen Wahrheit. Während ich gleichzeitig keine Ahnung habe, was „wahr“ eigentlich bedeutet. Hier geht es nur um das reine, das pure Verstehen – und ob ich mich darüber freue, eben einfach nicht zu verstehen. Und darüber kann ich mich außerordentlich gut freuen.

 

4. Lieblingsphilosoph?

Viele. Aber bevor es überhaupt so richtig losging, damals, als ich zu lesen begann, Anfang der 90er, begegnete mir ein Protagonist, der mich nicht nur viele Jahre begleiten sollte, sondern mir auch zeigte, wie ich künftig zu lesen hatte: Bert Ljung.

 

5. Wer ist Bert Ljung?

Hauptfigur und Autobiograph seiner eigenen Katastrophen. Er ist ein kritischer Beobachter seiner selbst, seiner näheren Umgebung sowie der allgemeinen Adoleszenz. Alles in allem also unbedingt eine identitätsstiftende Figur für zehnjährige Jungs.

 

6. Wie viel % Herr W. steckt in Stephan Weiner, wie viel in Wittgenstein?

Weder noch.

 

7. Sollte man den „Tractatus“ lesen? Ja? Nein? Vielleicht?

Ich glaube nicht, dass irgendjemand irgendetwas überhaupt gelesen haben „muss“. Bücher kommen zu Dir, oder sie lassen’s.

 

8. „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ – eine zentrale Erkenntnis im Leben des Autors?

Das ist im Grunde die einzige Wahrheit, die es gibt. Allerdings auch gleichzeitig der Ursprung aller Probleme. Denn alles, was der Fall ist, ist die Gesamtheit der Tatsachen. Und die Tatsache ist das Bestehen von Sachverhalten. Und der Sachverhalt ist die Verbindung von Gegenständen. Und das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke. Und der Gedanke ist der sinnvolle Satz. Und der Satz ist die Beschreibung eines Sachverhaltes. Und ein Satz kann nur sagen, wie ein Ding ist, nicht, was es ist. Und einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist. Und die Wirklichkeit muss durch den Satz auf Ja oder Nein fixiert sein. Und wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. (Und das kann auch ergänzend zu den Antworten auf Frage 3 und Frage 6 gelesen werden)

 

9. Würdest Du „Die Welt zerfällt in Tatsachen“ als „Krimi“ bezeichnen?

Wikipedia sagt:

„Bei einem Krimi geht es in der Regel um die Verübung und Aufklärung einer oder mehrerer schwerer Straftaten, d. h. Verbrechen wie Raub, Erpressung, Entführung oder Mord, die den Leser, Hörer oder Zuschauer in Spannung versetzen sollen. Mehrheitlich spielt ein Kommissar, ein Detektiv oder eine andere Hauptperson die Rolle des Ermittlers. In dieser Rolle findet er den eigentlichen Grund des Geschehens – häufig mit Zwischenfällen – heraus und entdeckt den Täter. Realistische Handlungsorte und gesellschaftliche Situationen, das heißt, die Anpassung an die jeweiligen ‚historisch-gesellschaftlichen Bedingungen seiner Entstehungszeit’, sind weitere Punkte, die Krimis gemeinsam haben. Auch die Verwendung von Waffen unterschiedlichsten Typs ist häufig integraler Bestandteil der Handlung.“

 

In dem Text gibt es keine Waffe, keinen Täter, keinen Ermittler, keine Straftat, keine Zwischenfälle. Es gibt aber realistische Handlungsorte, gesellschaftliche Situationen sowie durch das konsequente Vermeiden erklärender Details eine gewisse Spannung. Allerdings beginnt und endet alles bei der Frage: „Was passiert hier eigentlich?“ Und soweit ich weiß, passiert in einem handelsüblichen Krimi recht viel. Alles in allem würde ich daher ganz klar sagen: Jein (?)

 

10. Ist das „literarische Essay“ Dein Genre?

Die meisten meiner veröffentlichten Texte gehören wohl dazu. Aber ich tue mir schwer mit Genres (siehe Antwort auf Frage 8).

 

11. Was ich meinen Leser*innen schon immer sagen wollte:

 

Eine Botschaft habe ich nicht. Außer vielleicht: