Der Verlag macht in diesem Jahr nicht nur Sommerpause, sondern auch eine Verlagspause. Als Verlegerin möchte und muss ich überdenken, inwiefern der Verlag zukunftsfähig ist. Gründe dafür sind sicherlich auch die Pandemie (2x beispielweise vergeblich für die LBM angemeldet – das nimmt Wind aus den Segeln) und die Care-Arbeit seit 2020 – aber viel entscheidender sind die Strukturen der Buchbranche, die Kleinverleger*innen zu Selbstausbeutung zwingen. Obwohl die Branche gerne Büchervielfalt postuliert und sich damit schmückt. Dagegen sind die um bis zu 50% gestiegenen Papier- und Druckkosten fast nebensächlich.
Kleinverlage haben es nicht leicht. Das ist allen klar, die in der Buchbranche arbeiten. Außerhalb dieser Bubble weiß das niemand. Selbst Leser*innen kennen sich meistens nicht aus mit Verlagen, sondern interessieren sich für Autor*innen und Inhalte. Warum sollte das anders sein? Kann man fragen. Und ich sage, es ist zentral, weil Bücher eben von Verlagen gemacht werden. Bei Kleidung kennen wir doch auch die Marken. Und können darum einschätzen, was wir kaufen. Und bewusst zu konsumieren ist wichtiger denn je. In allen Bereichen.
Buchhandlungen sind Verbündete der Verlage. Sollte man denken. Denken viele wahrscheinlich. Aber Buchhandlungen sind nichts anderes als Shops für Bücher und interessieren sich v.a. für ihren Umsatz (es gibt Ausnahmen, die an dieser Stelle wahrscheinlich auch lautstark protestieren). Darum nehmen sie ungern Bücher von Kleinverlagen. Weil sie diese ja aktiv verkaufen müssten, dazu vielleicht auch noch lesen & kennen. Zugegeben, die Flut von jährlich erscheinenden Büchern zu lesen ist nicht machbar. Aber ein aktives Verkaufen von Büchern kann man durchaus von Buchhändler*innen erwarten. Wozu haben sie sonst ein Geschäft für Bücher? An denen sie pro Exemplar 30 – 45% mitverdienen. Um sie ins Regal zu stellen? Aber es gibt ja auch die Option, die unverkauften Bücher nach 12 Monaten einfach ohne Begründung zurück an den Verlag zu senden. Wozu sich also überhaupt ums Verkaufen kümmern?
Das ist natürlich drastisch formuliert (und, wie gesagt, es gibt Ausnahmen, die sich mit Herzblut für Publikationen aus kleinen unabhängigen Verlagen einsetzen), aber insgesamt habe ich als Verlegerin mittlerweile verstanden, dass es im Buchhandel, wie überall, um Geld geht. Ich war da zu idealistisch. Anders sieht es bei den kleinen unabhängigen Verlagen aus. Dort geht es tatsächlich noch um Inhalte. Sonst würde man den Wahnsinn des Buchmarkts nicht auf sich nehmen. Dazu die Selbstverständlichkeit mit der die Branche Kleinverlagen die Zukunft abspricht.
Als Verlegerin fordere ich: Schluss mit Remittenden. Der Buchhandel sollte vom Verlag gekaufte Bücher nicht zurücksenden dürfen. Wie sollen – besonders Kleinverlage – denn kalkulieren, wenn sie nach einem Jahr evt. das gesamte Geld wieder zurückzahlen müssen. Und dann auch noch beschädigte Bücher, geschundene Ansichtsexemplare, angeschimmelt-feucht gelagerte etc. zurückbekommen, im Grunde: Altpapier. Buchhandel und Zwischenbuchhandel (diese riesigen Lagerhallen für Bücher, damit sie am nächsten Tag lieferbar sind) macht Bücher durch seine Strukturen zu Altpapier. Sage ich einfach mal ganz derb. Und das Problem sind nicht nur Berge von zurückgeschickten Büchern. Es ist auch das Prinzip von Frühjahrs- und Herbstprogrammen, dieser Turbokapitalismus in einer Branche bei der es um Produkte geht, für die man sich Zeit nehmen muss. Und die oft mit den Jahren nur besser werden. Völlig paradox also die gesamte Struktur. Um nicht zu sagen: Schwachsinn. Erst recht das Angebot von Buchhandlungen: Das Buch ist am nächsten Tag schon da. Frisch aus der Massenlagerhalle für Massenbuchhaltung. Warum braucht man das Buch schon am nächsten Tag? Warum reichen nicht zwei, drei oder fünf Tage Postweg, bei Bestellung direkt beim Verlag? Bücher werden behandelt wie fast Fashion. Schnell schnell haben, (evt. auch schnell fotografieren), um sie dann drei Monate auf den SuB zu legen? Wie bitte macht das Sinn?
Naja, Sinn macht das eben für große Verlage und Konzernverlage. Da geht es um Unsummen von Büchern und Unsummen an sich. Wo ein Zwischenhandel mit Riesenlagerhallen natürlich praktisch ist – da muss man diese Hallen nicht selbst bauen und betreiben. Und auch die Overnight-Lieferung macht Sinn, weil das fast product Buch muss schnell raus, zack, auf den Punkt zur mega Werbekampagne, wo man sich überall einkauft, auf die besten Plätze und in alle Schaufenster der Buchhandelsketten, und zack muss das Produkt Buch auf die Backlist, und zack muss das nächste Buch in mega Auflage raus, mit Spiegel-Bestseller-Aufkleber natürlich. Weil sichtbar ist, wer das meiste Kapital hat. Und am besten verdient, wer sichtbar ist. Darum will man als Kleinverlag ja nur eins: In diesem krassen Game mitspielen. Darum macht man Bücher. Darum geht es der Literatur. – Sorry, echt. Vielleicht möchte ein Kleinverlag lieber eine kleine, feine Büchermanufaktur bleiben? Und nicht auf dem goldenen Kapitalismustreppchen ganz oben stehen. Aber trotzdem sorgenfrei und überhaupt von seiner Arbeit leben können.
Und jetzt? Liebe Kleinverleger*innen? Liebe Leser*innen? Liebe eben noch idealistisch-verklärten Buchromantiker*innen? Wenn der Buchhandel gezwungen wäre, wirklich alle Bücher abzuverkaufen – dann würde sicherlich weniger bestellt, aber auch weniger produziert, weniger verschleudert (weniger Papier sowieso) und weniger geschreddert. Das wäre nachhaltiger. Und würde sich auf Kleinverlage sicherlich auch nachhaltig auswirken und zwar dergestalt, dass der Handel noch weniger oder fast gar keine Bücher von Kleinverlagen mehr aufnehmen würde. Oder? Wer meint was? Wenn der Handel aber sagt: Nope… – Wofür braucht man diese ressourcenunfreundlichen Strukturen (ressourcenunfreundlich auf allen Ebenen) also überhaupt? Warum bestehen sie? Warum bestehen sie noch? Das ergibt doch keinen Sinn. Warum sagen Kleinverlage nicht: Wir verkaufen selbst (Online-Shops soll es ja heute geben) und kooperieren nur mit ausgewählten Buchhandlungen, die den Wahnsinn des Zwischenbuchhandels nicht unterstützen. Aber welche ist dazu bereit? Und dann wäre man ja auch ausgeschlossen vom Zwischenbuchhandel und damit noch unsichtbarer. Mist. Oder? Kann man eine Parallelwelt schaffen, einen anderen Buchkosmos, genauso sichtbar, der global Leser*innen erreicht? Das wäre doch was. Und da gibt es doch auch dieses Internet. Und das würde sich ja auch positiv auf die Autor*innenhonorare auswirken. Liebe Autor*innen, ihr seid schließlich die Schöpfer*innen, die Urheber*innen in diesem Spiel – gemeinsam mit den Geburtshelfer*innen in Form der Verlage. Aber an eurem Buch verdient ihr aufgrund dieses Systems nur einen kleinen Bruchteil. Wow, wie fair ist das denn.
Kleine Verlage trauen sich bisher nicht (oder selten) aus diesem hardcore kapitalistischen System auszusteigen. Oder suchen Kompromisse. Weil welche Möglichkeiten haben sie? Genau. Es gibt ja keine anderen Strukturen. Die muss man erst schaffen. Und vlt. schafft man es ja auch in den Handel. Einigermaßen großflächig. Dort verdienen allerdings selbst große Verlage oft erst ab der dritten (!) Auflage. Aber egal. Die Branche ist einfach so. Also besser nicht meckern und mitmachen. Auch wenn die Gebühren für Mitgliedschaften in den wichtigen Clubs für Geringverdiener*innen fast die gleichen sind wie für Multimillionäre und Milliardäre. So funktioniert Kapitalismus. Da unterstützen die gut Verdienenden doch nicht finanziell Schwächere. Wer käme auf so eine Idee? Oder gar auf faire Mitgliedsbeiträge nach Einkommen?
Wer gute Sachen macht, der hat auch Erfolg und verdient auch Geld. Sonst stimmt halt was bei der Qualität nicht. Die perfiden Märchen des Kapitalismus. Und was mich wirklich fassungslos macht, ist die Tatsache, dass viele derjenigen, die sich maßgeblich um das Geistige, Kulturelle, die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts so to say bemühen, sich einspruchslos dem Diktat des Kapitalismus beugen. Und wenn ich so etwas laut sage, dann bin ich natürlich ein Kolleginnenschwein.
Um was geht es denn hier eigentlich? Ach so, um den Marsch am Büchertisch durch die Institutionen. Deren Stempel es im Pass braucht. Um dann etwas verändern zu können? Oder wie? – Ganz ehrlich: Ich verstehe die akzeptierten Mechanismen der Buch- und Literaturbranche immer weniger. Was vlt. auch nichts macht, weil Menschen, die sich für Literatur interessieren, zumindest für anspruchsvolle Literatur, heute sowieso vom Aussterben bedroht sind? Ach, das sind wir ja alle. Aber warum ist in der klassischen Literaturbranche das Publikum so überaltert? Liegt das an der Demografie dieses Landes? Oder an Wasserglaslesungslangeweile? Oder daran, dass sich junge Menschen Bücher oft gar nicht leisten können? Wahrscheinlich von allem was. Und was können wir da machen? Neue Leseorte, neue Formate, klar – aber auch: der Buchhandel verdient einfach unverdient hoch mit. Wie gesagt: 30 – 45% nimmt der unabhängige Buchhandel, der Großbuchhandel 50% pro Buch. Naja, die Kidz können ja dann die Remittenden in den Buch-Outlets shoppen. Oder bloggen, dann bekommen sie gleich Meterware. Und sie müssen nicht mehr selbst wählen.
Wobei ja immer weniger junge Menschen Bücher lesen. Klar, wenn die brisanten, die richtig geilen Bücher auf dem Buchmarkt unsichtbar bleiben. Menschen haben ja noch nie gerne gedacht und nie gerne gehandelt, darum auch nie gerne gelesen – klar klar. Was ich sehe sind zementierte patriarchale Strukturen (alter) weißer Männer, die im Buchbereich nicht nur für Inhalte gelten (was ja glücklicherweise massiv aufbricht), sondern für die Gesamtstruktur. Bücher, Literatur – das soll doch etwas Elitäres bleiben bitte sehr, hinter Zäunen, Säulen, Marmormauern mit Eintrittsgeldern. Wo Germanistik-Studierende die Selbstbeweihräucherungen Alteingelesener über sich ergehen lassen, um sich in Position zu bringen und einmal die Machtstrukturen zu übernehmen. Die sie dann aber zu träge sind aufzubrechen. Oder zu bequem. Oder es nie vorhatten. Weil das Arbeiter*innenameisenvolk ja sowieso Netflix schaut. Schauen will. Nicht bereit, etwas anderes zu kennen. Wissen wir doch alle. Warum also jemals etwas ändern?
Wenn man Geld verdienen will, darf man sich nicht systemkritisch äußern. Glaube ich nicht. Wenn man etwas erreichen will, muss man sich anpassen und dazugehören. Glaube ich auch nicht.
Es gibt noch so viel zu sagen. Das ist ja eine Themenflut, die eigentlich bis in alle Details erörtert werden müsste. Aber eigentlich wollte ich ja bloß eine Verlagspause ankündigen. Man kommt so vom Hölzchen aufs – naja, auf jeden Fall nicht ins Stocken. Vielleicht kann es weitergehen, mit dem Verlegen. Und vielleicht ist es auch möglich, das System grundlegend zu verändern – und zwar nicht von innen heraus. Kleine Verlage funktionieren nun mal anders als große Verlage und Konzernverlage. Darum ist es sinnvoll komplett neue und ganz andere Strukturen für Kleinverlage zu schaffen, um Büchervielfalt nicht nur nachhaltig zu fördern und zu erhalten, sondern für alle sichtbar und zur “Norm” zu machen. Dafür braucht es natürlich eine kritische Masse.